„Ohh guck mal, so einen Rucksack will ich schon total lange haben“, quietscht Blondie mit dem Knoten auf dem Kopf und krallt ihre Finger in den babyblauen Eastpack Rucksack, dass die Knöchel schon ganz weiß werden. Ihre brünette Freundin jauchzt und klatscht dazu vor überschwenglicher Anteilnahme am Spitzengeschäft des Tages wie ein Duracellhase in die Hände. Jaja, ich hatte auch mal so einen, das war in der siebten Klasse und ich bin darüber hinweg.
Es ist natürlich Sonntag, Kaiserwetter dazu und das bedeutet, dass die Flohmärkte (nicht nur) in Berlin an diesem Oktobertag maßlos überfüllt sind. Ich habe mir die volle Dröhnung erlaubt und mich tatsächlich auf den Flohmarkt am Mauerpark getraut. Ja, das ist ätzend. Und natürlich wünsche auch ich mir einen Geheimtip-Flohmarkt, wo ich unter ganz wenigen Leuten über einen lauschigen Platz spaziere und die tollsten Dinge für einen schmalen Taler entdecke. Das Problem ist, dass die Protagonistin sich in Berlin befindet und hier kein guter Flohmarkt lange geheim bleibt. Kein Problem für mich, ich komme zurecht. Ich suche gar nichts bestimmtes heute, will einfach flanieren, den ersten Glühwein mit Rum trinken und stöbern. Die professionellen Händler lasse ich dabei meist hinter mir und konzentriere mich auf die ganz normalen Menschen, die einfach nur ihren alten oder ungeliebten Kram loswerden wollen. Es fehlt einfach an der Bereitschaft meinerseits, den Aasgeiern Geld für Müll in den Rachen zu werfen, der leider viel zu oft vom Vintage-versessenen Volk zu völlig überteuerten Preisen gekauft wird. Ein Beispiel:
Ich sehe einen kleinen Schrank, obwohl Schrank schon viel zu euphemistisch ist. Nennen wir es lieber Schränkchen. Ich sehe also dieses Schränkchen, vielleicht 80cm hoch und 60cm breit (Nein, es ist nicht 2,20m tief). Es war mal weiß, allerdings ist die Farbe mittlerweile ziemlich dreckig und auch schon an einigen Stellen abgeplatzt. Kurz: Es hat schon einmal bessere Tage gesehen. Ich vermute, dass es aus den 60ern oder 70ern stammt. Das gute Stück ziert als kleine Besonderheit außerdem eine Glasplatte, die an einer Ecke bereits abgebrochen ist. Ich stehe in einiger Entfernung mit meinem Glühwein und beobachte das Geschehen. Es nähert sich ein Typ so um die 30 mit Bart, kleiner Wollmütze auf der Tonsur und Lederjacke, wahrscheinlich heißt er Linus. Linus schlawenzelt um das feil gebotene Stück herum.
Händler. Suuuper Stück, original 60er Jahre!
Linus (wiegt den Mützchenkopf nach links und rechts). Jaaa, das ist echt nice, gefällt mir total gut!
Händler (er wittert seine Chance). Kannste direkt mitnehmen, echt, ich hab davon heute schon drei Stück verkauft, ist das letzte!
Linus (hadert). Das glaub‘ ich dir sofort, ist ja auch ein echt schönes Teil. Mhh. Was willste denn dafür haben?
Händler. 130 Euro, ist halt echt 60er Shabby Chic!
(Prusten aus dem Hintergrund)
Linus (benommen vor Freude). Ja, das ist das schöne Stück auch echt wert..Mhh..OKAY!
An dieser Stelle endet die Szene, da ich mich kopfschüttelnd abwende, um meiner Begleitung empört zu berichten, was der Sperrmüll kosten soll. Keine Frage, schöne alte Dinge haben ihren Preis und das auch völlig zurecht, aber es gibt Grenzen. Gerade was Möbel betrifft, geraten die Händler in einen regelrechten Preisrausch, besonders in Berlin.
Durch den großzügig eingeschenkten Rum im Glühwein bin nun auch ich in Geldausgeberlaune und schlage bei einer älteren Dame zu, bei der ich einen langen Lederrock entdecke. Verstohlene Blicke, Größe abschätzen, Preis erfragen. Ich werde innerhalb von Sekunden zu Blondie (allerdings ohne Knoten), die (immerhin etwas sanfter) quietscht. „Ohhhh…ist der schöööön,“ entfährt es mir. Meine Begleitung (brünett, klatscht und jauchzt aber nicht) pflichtet mir bei. Dazu muss erwähnt werden, dass ich bereits eine kleine Sammlung an Lederröcken besitze, also nicht händeringend danach suche. Deshalb auch kein Festkrallen, Applaudieren, Jubeln und Hüpfen meinerseits. Immerhin jedoch ein seliges Lächeln und ein tiefer Seufzer.
Nun bin ich glücklich, doch da der Geldbeutel jetzt ziemlich locker sitzt, kaufe ich rasch noch eine Platte von Duke Ellington. Brauche ich auch nicht, aber Jazz lässt sich besonders gut in Herbst und Winter hören und mit dem Duke kann man generell nicht viel falsch machen. Plattenhändler gibt es im Mauerpark en masse (die lasse ich rnicht hinter mir, die sind okay), es muss nicht lange gesucht werden. Ich wundere mich anschließend noch über die ganzen Leute, die sich um die Stände mit Sonnenbrillen drängen. „Ja, heute scheint die Sonne, aber mal ganz ehrlich; jetzt muss man auch keine Sonnenbrille mehr kaufen, ist doch eh fast Winter,“ informiere ich meine Begleitung mit einem süffisanten Lächeln. 5 Minuten später kaufe ich eine grüne Sonnenbrille. Wenn der Flohmarkt ruft, dann sind die Menschen eben doch alle ziemlich gleich.